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Österreichs Besessenheit vom Mittelmeer

Verona, Abfahrt des ÖBB-Zugs Richtung München. Eine kleine Gruppe von Polizisten beobachtet die Passagiere beim Einsteigen in die Wagons. Zwei Polizisten sind bereits im Zug. Sie starten beim ersten Wagon, durchschreiten ihn zügig. Ihre Köpfe sind ständig in Bewegung, ihr Blick geht in jedes einzelne Abteil. Unvermittelt bleiben sie stehen; sie haben ihre Beute gefunden. Neben einer klassischen deutschen Kleinfamilie, blondes Haar und von der venezianischen Sonne gerötete Haut, sitzt eine dunkelhäutige Frau.
Passaport, please“, ruft der Polizist. Blitzschnell hält ihm die Frau ihre Fahrkarte hin.
Passaport, document“, wiederholt er nachdrücklich die Aufforderung.
Die Frau zeigt ihm ein Stück Papier, das der Polizist begutachtet und die Frau daraufhin auffordert, mit ihm den Zug zu verlassen. Die Kollegen am Bahnhof „kümmern“ sich nun um sie, und die beiden können fortfahren, die restlichen Zugwagons zu durchkämmen.

Szenen wie diese wiederholen sich jedes Mal, wenn ein Fernverkehrszug den Bahnhof von Verona Richtung Brenner verlässt.
Die „Aussonderung“ geschieht auf zweierlei Weise: Wenn der Zug Verona auf Durchreise anfährt, erfolgt die Kontrolle am Bahnsteig. Dort kontrollieren die Polizisten die Dokumente aller Personen mit afrikanischen oder asiatischen Gesichtszügen. Obwohl dieses Vorgehen diskriminierend und verboten ist: Die Polizisten haben präzise Anweisungen, wie mir vom Büro der Bahnhofspolizei bestätigt wurde. Präzise interne Anweisungen, so sagen sie. Es erübrigt sich wohl zu sagen, dass mir kein Papier vorgelegt wird, das das bestätigen würde; die Transparenz ist hier nicht daheim. In der Zwischenzeit besteigt eine Streife den Zug. Wenn ein Migrant ohne gültige Ausreisedokumente während der Fahrt aufgegriffen wird, wird er angehalten, bei der nächsten Station auszusteigen. Bei jenen Zügen hingegen, die von Verona abfahren, erfolgt eine doppelte, manchmal sogar dreifache Kontrolle: die erste, sozusagen präventive Aussonderung in der Unterführung oder auf den Stufen, die zum Bahnsteig führen, die nächsten dann auf dem Bahnsteig und im Zug. Die Stärke der Präsenz der Ordnungskräfte ist je nach Jahreszeiten unterschiedlich und hängt wohl auch vom Murren Österreichs ab. An den Bahnsteigen der Regionalzüge werden bislang keine Kontrollen dieser Art durchgeführt. Nicht selten jedoch kommt es vor, dass die Polizisten die Züge besteigen und die Vorgangsweise sich drastisch ändert, sobald der Zug Bozen hinter sich lässt.

Die (unsichtbaren) Mauern am Brenner

Je mehr sich der Zug dem Brenner nähert, desto intensiver richtet sich die Aufmerksamkeit auf die so genannten Sekundärbewegungen der Migranten.
An der Grenze wiederholen sich dieselben Vorgangsweisen wie in Verona, allerdings um vieles drastischer. Die Kontrollen umfassen engmaschig jeden Zug, sowohl bei Einfahrt, Abfahrt als auch Durchfahrt. Die Abteile werden von gemischten Streifen durchforstet, an denen Polizei, Carabinieri und Heer beteiligt sind. Sie besteigen den Zug jeweils zu dritt, während weitere vier oder fünf am Bahnsteig bleiben und die Operationen von dort aus begleiten. Es kommt vor, dass eine Patrouille am Zuganfang und eine weitere am Zugende einsteigt und sie sich in der Zugmitte treffen.
Die Art und Weise, wie die Kontrollen durchgeführt werden, spricht für sich: Es wird nicht einmal ansatzweise der Eindruck erweckt, dass die Dokumente jener Passagiere kontrolliert werden sollen, die nicht als Migranten eingeschätzt werden, so dass das erste Screening ausschließlich aufgrund der Hautfarbe vorgenommen wird. Die Kontrolle erfolgt einzig und allein auf ethnischer Basis. Neben dem Schwarzen könnte ein polizeilich Gesuchter Platz nehmen, ein Vergewaltiger, ein Mafioso, ein Banker, der Tausende von Personen in den Ruin getrieben hat; doch nicht er ist in unseren Zeiten im Visier der Polizei.
Gemeinsam mit den italienischen Polizeibeamten durchforsten nicht selten auch österreichische Polizisten die Züge. Ihr Auftrag besteht zusätzlich darin zu kontrollieren, ob die italienischen Kollegen ihre schmutzige Arbeit wohl auch gewissenhaft erledigen.
Die anderen Zugreisenden verziehen keine Miene, alles wird außergewöhnlich normal; alles wird annehmbar, wenn es durch eine politische Klasse legitimiert und der letzte Rest von Gewissen durch die Bombardierung durch Medien und Populisten zunichte gemacht ist. Beim Anblick dieser zahllosen schweigenden, betäubten und gleichgültigen Gesichter können einem nur die Worte einfallen, die Antonio Gramsci in „Ich hasse die Gleichgültigen“ schrieb: „Die Gleichgültigkeit ist das tote Gewicht der Geschichte. Die Gleichgültigkeit wirkt mächtig in der Geschichte. Sie wirkt auf passive Weise, aber sie wirkt. Sie ist das Verhängnis, ist das, worauf du nicht zählen kannst; das, was die Programme umwälzt, die besten Pläne zu Sturz bringt; sie ist die rohe Materie, die die Intelligenz knebelt.“
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Die Migranten ohne Reisedokument werden zum Aussteigen angehalten. Zuerst bringt man sie zum Büro der Bahnhofspolizei, anschließend ins Grenzkommissariat. Was hier geschieht, ist nicht ganz klar: Antenne Migranti, jene Organisation, die Monitoring entlang der Brennerstrecke betreibt, kam zum Schluss, dass nach unterschiedlichen, schwer einzuschätzenden und interpretierbaren Kriterien vorgegangen wird. Fakt ist, dass alle Migranten zum Zug nach Bozen gebracht und aufgefordert werden einzusteigen; einigen von ihnen wird ein Zettel ausgehändigt mit der Aufforderung, sich dort bei der Quästur zu melden; andere wiederum werden einfach in den Zug gesetzt. Die unbegleiteten Minderjährigen werden den Mitarbeitern des Vereins Volontarius übergeben, die am Brenner ein kleines Aufnahmezentrum führen. Doch können die Migranten dort maximal eine Nacht schlafen; am nächsten Tag müssen sie es verlassen. Die Ausnahme von dieser Regel wird nur bei besonders schutzbedürftigen Personen gemacht, die allerdings auch nicht mehr als drei Nächte im Zentrum verbringen dürfen.

Jene Migranten, die, zurückgeschickt, in Bozen bleiben, sind auf die Hilfe von Freiwilligen angewiesen und gezwungen, die Nächte auf der Straße zu verbringen. Sie können zwar das Ansuchen auf Gewährung internationalen Schutzes stellen, doch aufgrund eines auf keinerlei rechtlicher Basis fußenden Rundschreibens von Luca Critelli, Direktor der Abteilung Soziales in Bozen, werden sie von den örtlichen Institutionen als Asylanwärter „außerhalb der staatlich zugewiesenen Quote“ betrachtet. So bleibt das Anrecht auf Aufnahme für die Männer, Frauen und Jugendlichen, die am Brenner zurückgewiesen wurden, reine Theorie, und sie werden ein weiteres Mal zurückgewiesen. Die zuständigen Institutionen werden nicht müde, in alarmistischen Tönen zu wiederholen, dass sie nicht für die Rechte Aller zuständig sein können, da dies einen enormes Anziehungspotential für den Zustrom weiterer Migranten darstellen würde. Und so tritt man diese Rechte lieber mit Füßen.

Es ist schwierig, an konkrete und überprüfbare Zahlen zu kommen, was die Rückschickung der Migranten am Brenner betrifft. Daten des Innenministeriums, die sich allerdings auf die Grenzübergänge Tarvisio und Brenner beziehen, sprechen von 800 irregulären Ausländern in den ersten drei Monaten 2017, davon 150 passive einvernehmliche Rückübernahmen. Es lässt sich im Moment nicht einschätzen, ob die Tendenz steigend ist oder stabil.

Vor kurzem ließ der Tiroler Landespolizeidirektor Helmut Tomac verlauten, dass täglich um die zwanzig Migranten aufgegriffen und nach Italien zurückgeschickt werden. Diese Anzahl bezieht sich allerdings nicht nur auf den Brenner, sondern auf weitere Bergpässe, zumal in der Sommerzeit auch dort die Kontrollen intensiviert und aufgegriffene und zurückgeschickte Personen gemeldet wurden.
Vor einem Jahr wurde Italien von der EU gezwungen, die Dublin-Verordnung anzuwenden und seine Rolle als Hotspot der europäischen Politiken zu erfüllen: Identifizierung aller an den Küsten ankommenden Migranten, und sei es mit Gewalt. Das Fingerprint-System wird nun zwar zu 99% angewendet, doch es ist augenscheinlich, dass es die Migranten nicht daran hindert, sich in andere europäische Staaten begeben zu wollen. Der eigentliche Kampf gegen die Sekundärbewegungen finden in den Grenzgebieten Norditaliens statt: in Ventimiglia, in Como, Tarvisio und am Brenner: an diesen Mauern, die von Alfano erbaut und von Minniti aufrechterhalten werden, nehmen sie menschliche Gesichter an und zeigen in den gezielten, diskriminierenden und erdrückenden Kontrollen ihr wahres Gesicht.
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Die Schließung der Mittelmeer-Route

Wenn man also die von der Polizei zur Verfügung gestellten Daten liest und sieht, was täglich am Brenner geschieht, erscheint der Auftritt des österreichischen Verteidigungsministers Hans Peter Doskozil vom 3. Juli gänzlich absurd und unbegründet. Das Verhalten Österreichs ist anders zu verstehen: Die Wortmeldungen österreichischer Politiker waren auch in der Vergangenheit dazu angetan, die Politik des Managements der Migrationsströme bestimmen, so geschehen mit der Balkanroute: Dessen Schließung im Februar 2016 löste einen Domino-Effekt aus, im Zuge dessen es nach nur einem Monat zur Unterzeichnung des Abkommens zwischen der EU und der Türkei kam. Österreich ist weniger an dem interessiert, was am Brenner geschieht; vielmehr blickt es weiter nach Süden, zu den Ufern des Mittelmeers. Denn dort geht es ums Eingemachte, und die weitblickenden österreichischen Falken wollen die anderen Staaten der EU dazu bringen, den Prozess der Auslagerung der Grenzen zu den nordafrikanischen Staaten hin zu beschleunigen.

Die Pointe mit den Militärs und den Panzern am Brenner hat denselben Zweck wie der Vorschlag Minnitis, die italienischen Häfen für die NGO’s zu sperren: Es sind konstruierte Bluffs, um eine Beschleunigung in der Auslagerung des Managements der Migrationsströme an die Libyer zu erreichen und, gemeinsam mit den G5 Sahel, die Kontrolle über die Mittelmeerküsten Libyens zu gewinnen. Doch wie wird es die EU, und gemeinsam mit ihr Italien, anstellen, um den Bericht von OXFAM über die schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Libyen zu übersehen?
Das Ziel ist es, die Unentschiedenen zu überzeugen, jene, die noch der Überzeugung sind, dass die Menschenrechte in Libyen nicht eingehalten werden, und aus ihnen die neuen Gleichgültigen zu machen.

Redazione

L'archivio di tutti i contenuti prodotti dalla redazione del Progetto Melting Pot Europa.

Stefano Bleggi

Coordinatore di  Melting Pot Europa dal 2015.
Mi sono occupato per oltre 15 anni soprattutto di minori stranieri non accompagnati, vittime di tratta e richiedenti asilo; sono un attivista, tra i fondatori di Libera La Parola, scuola di italiano e sportello di orientamento legale a Trento presso il Centro sociale Bruno, e sono membro dell'Assemblea antirazzista di Trento.
Per contatti: [email protected]