Per la libertà di movimento, per i diritti di cittadinanza
/

Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge : am Brenner zurückgewiesen und in Bozen auf der Straße

Am 16. August bringt die Mehrheit der italienischen Presseagenturen die Nachricht, dass Österreich dabei ist, ein Kontingent von 70 Soldaten an den Brenner zu entsenden.

Am Tag darauf entscheiden wir, zur Grenze zu fahren, um die Lage zu beobachten, und finden eine sehr kritische Situation vor, vor allem, was die Minderjährigen betrifft. Was die Präsenz der Polizeikräfte betrifft, hat sich im Vergleich zur vorhergehenden Woche nicht viel geändert, dieselben Kontrollen am Bahnhof und auf den Zügen, auch die Vorgangsweise der Patrouillen ist mehr oder weniger unverändert. In den folgenden Tagen jedoch treten Soldaten in Begleitung von Hunden und mit Infrarot-Kameras ausgestattet in Erscheinung, und den Migranten, die auf den durchfahrenden Güterwaggons aufgespürt werden, werden Handschellen angelegt.

Um 12.30 Uhr lernen wir auf Gleis 6 des Bahnhofs 4 Personen kennen: drei Jungs, einer davon Gambier und zwei Somalier, sowie ein Mädchen, auch sie somalische Staatsbürgerin. Wir sprechen mit einem der Somalier, Ibrahim, der uns um Hilfe bittet und uns den Strafzettel zeigt, den er in Österreich wegen gesetzeswidrigen Betretens des Staatsgebiets erhalten hat. Auf dem Dokument, das nur in deutscher Sprache verfasst ist, scheint auch das Geburtsdatum des Jungen auf, das ihn als minderjährig ausweist. Er erzählt uns, dass er seit 2016 in einem Zentrum für minderjährige Flüchtlinge in Imperia untergebracht war, das er dann verlassen hat, als seine Verlobte, Marian, in Italien angekommen ist. Marian erzählt uns, dass auch sie minderjährig ist und dass die österreichischen Behörden ihr Geburtsdatum geändert haben, so dass sie nun als knapp volljährig aufscheint. Weiters erzählt sie uns, dass sie seit zwei Monaten in Italien ist und eine schwierige Überfahrt über das Mittelmeer hinter sich hat: das Boot war gekippt und sie konnte nur mit Müh und Not die italienische Küste erreichen. Nachdem auch sie das Aufnahmezentrum verlassen hatte, schlugen sich Ibrahim und sie einige Wochen lang durch, indem sie in Mailand und Como auf der Straße lebten, bis sie beschlossen, sich nach Nordeuropa durchzuschlagen, wo beide Verwandte hatten.

Wir unterhalten uns anschließend auch mit Mamadou, dem Gambier, und auch hier dasselbe Problem: auch er sagt, minderjährig zu sein und seit 2016 in Brindisi in einem Aufnahmezentrum für Minderjährige untergebracht gewesen zu sein, das man ihn allerdings zu verlassen zwang, obwohl er noch minderjährig war.

Die Vier waren gemeinsam am Morgen mit einer weiteren Gruppe von sechs Somaliern vom Bahnhof Franzensfeste aufgebrochen, wo sie die italienische Polizei am Tag zuvor hingebracht hatte. Mit einem Regionalzug kamen sie bis Gries am Brenner, wo die 10 Migranten von der österreichischen Polizei aus dem Zug geholt und auf den Polizeiposten gebracht wurden. „Wir mussten uns nackt ausziehen und nachdem wir durchsucht worden waren, wurden uns die Fingerabdrücke abgenommen“, erklären sie uns. Schließlich wurden ihnen ihre Handys abgenommen und jedem eine Strafe von 100 Euro verpasst.

Die Vier, die wir kennengelernt haben, wurden daraufhin aufgefordert, hintereinander den Polizeiposten zu verlassen, der sich unmittelbar an der Grenze zu Italien befindet, einige Meter vom Outlet Center entfernt, zu Fuß die Grenze nach Italien zu überschreiten und sich zum Bahnhof zu begeben. Die österreichische Polizei hätte sich jedoch mit der italienischen in Verbindung setzen müssen, um das Verfahren der Rückübernahme einzuleiten. Ein Minderjähriger kann allerdings ab dem Moment, wo er als solcher anerkannt wird, wie es bei Ibrahim der Fall ist, von Gesetzes wegen weder zurückgewiesen noch rückübernommen werden. Die Vier sind den Anweisungen gefolgt und haben den Bahnhof erreicht, ohne auf der italienischen Seite der Grenze auf Polizisten oder Soldaten zu treffen. Sie haben sich auf den Bahnsteig gesetzt, um auf die anderen 6 somalischen Freunde zu warten, die noch am Polizeiposten waren. Währenddessen haben sie den italienischen Ordnungskräften, die am Bahnsteig waren, die Strafen gezeigt, ohne jedoch von diesen in irgendeiner Form aufgefordert zu werden sich auszuweisen.

Um ca. 14.30 Uhr kommen die sechs Somalier, unter ihnen eine Frau, in Begleitung der italienischen Polizeikräfte zum Bahnhof. Die österreichische Polizei hat sie der italienischen übergeben, die sie als volljährig identifizierte und nun zum Bahnsteig bringt, wo ein Zug in Abfahrt Richtung Bozen ist. Es handelt sich um eine informelle Rücküberweisung von Personen an der Grenze, die eine protokollarische Vereinbarung zwischen Italien und Österreich ermöglicht mit dem Ziel, die Verfahren der Zurückweisungen zwischen den beiden Ländern zu vereinfachen. Die Personen, die aufgespürt und aufgehalten werden, nachdem sie Österreich gesetzeswidrig betreten haben, können nach Italien rücküberwiesen werden (und umgekehrt), sofern die Rücküberweisung innerhalb von 24 Stunden stattfindet und mittels Dokumenten bewiesen werden kann, dass die Migranten Österreich von jenem Land aus betraten, in das sie nun rücküberwiesen werden sollen.

Die Polizisten fordern nun die gesamte Gruppe der zehn anwesenden Migranten auf, den Zug, der Richtung Bozen fährt, zu besteigen, und begleiten sie zu dritt.

Während der Fahrt haben wir die Möglichkeit, auch mit den sechs Somaliern zu sprechen. Vier von ihnen sagen, minderjährig zu sein, und fügen hinzu, dass die Polizisten ihre Personaldaten falsch aufgenommen haben: sie wurden als volljährig ausgewiesen, sowohl in Österreich, wie auf dem Strafzettel ersichtlich ist, der ihnen ausgehändigt wurde, als auch in Italien, wo ihnen ein Papier mit der Aufforderung, sich bei der Quästur in Bozen vorzustellen, um ihren Status zu überprüfen, übergeben wurde. Besonders eindeutig ist dies bei einem von ihnen, der seinem Aussehen und den Gesichtszügen nach ein Teenager ist; er selbst gibt an, 14 Jahre alt zu sein. Sie alle sind vor circa einem Monat in Italien angekommen und bestätigen, enge Verwandte, Brüder und Onkel, in andern europäischen Ländern zu haben.

Am Bahnhof Franzensfeste fordern sie die Polizisten ohne Erklärung auf, den Zug zu verlassen. Mittlerweile völlig orientierungslos diskutieren sie untereinander und entscheiden, nach Bozen weiterzufahren. Wir fahren mit ihnen und weisen sie darauf hin, sich an den Verein Volontarius zu wenden, der am Bozner Bahnhof erste Anlaufstelle für die Migranten ist. Auf Vermittlung von Volontarius wird der jungen Frau von Seiten der Sozialen Dienste eine Übernachtungsmöglichkeit in einem Zentrum für Minderjährige angeboten, was diese ausschlägt, da sie sich nicht von ihrer Gruppe trennen will. Also ruhen sie sich in den Räumen von Volontarius aus und nehmen anschließend die Möglichkeit der Essensausgabe in der Mensa „ex-Agip“ am Verdiplatz wahr, nur wenige Meter vom Bahnhof entfernt.

Am Abend können die sieben Minderjährigen der Gruppe auf dem Boden einer Kirche schlafen, die dafür einen Raum zur Verfügung stellt, die anderen schlafen unter freiem Himmel im Park. Am darauf folgenden Tag, es ist der 18. August, kann die Kirche kein weiteres Mal Schlafplätze anbieten, zumal sie schon seit längerer Zeit besonders verletzliche Menschen bei sich beherbergt, Frauen mit Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke, die allesamt den Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben. Die somalischen Minderjährigen werden daher im Freien übernachten müssen.

Am Morgen des 18. August begleiten wir die Minderjährigen zur DSI, Dienststelle für soziale Integration, die sich im Auftrag der Provinz Südtirol um die Unterbringung und die Aufnahme der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge kümmert. Sie sagen, dass sie nichts tun könnten, da den Personen von der Polizei die Volljährigkeit attestiert worden sei, und betonen, dass diese nochmals zur Quästur gehen und eine erneute Identifikation verlangen müssten. Fakt ist aber, dass nur die Staatsanwaltschaft der Republik Italien am zuständigen Gerichtshof für Minderjährige befugt ist, zur Festsetzung des Alters sozio-sanitäre Untersuchungen anzuordnen, sie aber auf jeden Fall darüber in Kenntnis gesetzt werden müsste, dass Personen, die von sich selbst sagen, minderjährig zu sein, die Volljährigkeit attestiert wurde.

Nun wissen wir aber, dass zwei von ihnen, die seit 2016 in Italien sind, bei ihrer Ankunft korrekterweise als Minderjährige identifiziert wurden. Durch unsere Kontakte mit KollegInnen in Imperia wissen wir auch, dass einer der Somalier im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung für Minderjährige ist, die in jenem Zentrum aufbewahrt ist, wo er untergebracht war.

Die Vorgangsweise, die wir in diesem Fall beobachten konnten, weist schwerwiegende Gesetzeswidrigkeiten auf Seiten der Beteiligten auf.

Weder die österreichischen noch die italienischen Ordnungskräfte haben die notwendigen Maßnahmen getroffen, um korrekt das Alter der Personen festzustellen ab dem Moment, in dem diese sagten, minderjährig zu sein.

Im Fall von Ibrahim, dem einzigen Minderjährigen, der auch als solcher anerkannt wird, hat die österreichische Polizei das Verbot der Rücküberweisung an der Grenze verletzt, und die italienische Polizei hat, nachdem sie den Strafzettel und das Geburtsdatum gelesen hat, nichts unternommen, um ihn zu schützen. Des Weiteren hat ihn die Polizei, als sie die Gruppe ohne irgendwelche Auskünfte im Zug Richtung Bozen begleitete, an einem Bahnhof wie Franzensfeste zurückgelassen, an dem es keinerlei Anlauf- oder Informationsstelle für Migranten gibt.

Obwohl in Italien das so genannte Gesetz Zampa den Schutz und die Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge garantiert sowie das Recht auf Anhörung, haben die lokalen Institutionen und der Sozialdienst, an den wir uns gewandt haben, nichts unternommen, um die Art und Weise, wie das Alter festgesetzt wurde, auch nur irgendwie zu hinterfragen.

Das Gesetz Nr. 47 vom April 2017 (Vorschriften betreffend die Maßnahmen zum Schutz der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge) spricht diesbezüglich eine sehr klare Sprache. Art.5,3 hält fest: „Die Identität eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings wird von den Behörden der öffentlichen Sicherheit mit Unterstützung von kulturellen Mediatoren festgestellt und in Anwesenheit des Vormunds oder des vorläufigen Vormunds, sofern dieser bereits ernannt wurde, nachdem dem Minderjährigen eine sofortige humanitäre Hilfe garantiert wurde.“

Indem sie die Pauschalidentifikation durch die Ordnungskräfte am Brenner unhinterfragt als korrekt übernommen haben, sind die Stellen, an die wir uns gewandt haben, ihrer spezifischen Verantwortung nicht nachgekommen. Von öffentlichen Beamten, den Ausübenden eines öffentlichen Dienstes oder einer Einrichtung von öffentlicher Notwendigkeit, die im Rahmen ihrer Tätigkeit (z.B. in Aufnahmezentren, Gesundheitsdiensten, Schulen usw.) Kenntnis erhalten von einer Situation, in der der begründete Verdacht besteht, dass ein Flüchtling als volljährig ausgewiesen wird, obwohl er minderjährig ist, und sich daher in einem Zustand der Verlassenheit oder jedenfalls in einer vorurteilsbehafteten Situation befindet, kann zu Recht verlangt werden, dass sie diese gemäß Art. 9,c 1 Gesetz 184/83 der Staatsanwaltschaft am Gerichtshof für Minderjährige melden, auf dass diese eine Überprüfung des Alters festsetze. Des Weiteren haben sie gegen die UNO-Konvention über die Rechte der Kinder und der Jugendlichen verstoßen: „Jedes Kind hat das Recht auf Schutz vor jeglicher Diskriminierung, unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.“

All dies erscheint noch schwerwiegender, wenn man in Betracht zieht, dass die unbegleiteten Flüchtlinge, würde man die Existenz von Verwandten in anderen europäischen Staaten überprüfen, die Familienzusammenführung in Anspruch nehmen und daher völlig legal und vor allem sicher die Grenze überqueren könnten.

– Info: Antenne Migranti

Antenne Migranti

Antenne Migranti, monitoraggio lungo la rotta del Brennero.
Un progetto finalizzato al monitoraggio della situazione dei migranti nelle stazioni e nelle città sulla linea Verona-Brennero, sostenuto dalla Fondazione Langer e da un contributo di Open Society.
Collabora con ASGI - Associazione Studi Giuridici sull’Immigrazione per consulenze, casi di presa in carico legale e per azioni di formazione congiunta.